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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.05.2003
Aktenzeichen: 12 UZ 2374/02
Rechtsgebiete: AuslG, GG
Vorschriften:
AuslG § 23 Abs. 1 | |
GG Art. 6 |
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Ausländerrechts
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richterin am Hess. VGH Lehmann,
am 22. Mai 2003 beschlossen:
Tenor:
Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juni 2002 zugelassen. Das Verfahren wird als Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen 12 UE 1355/03 fortgesetzt.
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.000,-- € festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt und begründet worden (§ 124a Abs. 1 Sätze 1 bis 4 VwGO).
Der Antrag ist auch begründet; denn mit ihm ist zu Recht geltend gemacht, dass die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen ist.
Nach dem von der Ausländerbehörde nicht in Zweifel gezogenen Vorbringen in dem Zulassungsantrag und dem dort in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann anzunehmen, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Hess. VGH, 04.04.1997 - 12 TZ 1079/97 -, EZAR 625 Nr. 1 = NVwZ 1998, 195 = HessJMBl. 1997, 768; VGH Baden-Württemberg, 27.02.1998 - 7 S 216/98 -, VBlBW 1998, 378; OVG Berlin, 09.03.1999 - 4 SN 158.98 -). Die zur Auslegung des Begriffs der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG entwickelten Grundsätze können zur Auslegung von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit der Maßgabe herangezogen werden, dass die Entscheidung über die Zulassung der Berufung weniger eilbedürftig ist als die Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 VwGO sowie in abgabe- und asylrechtlichen Eilverfahren (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG). Das Rechtsmittelgericht muss bei der Prüfung anhand der mit dem Zulassungsantrag vorgetragenen Beanstandungen zu der Meinung gelangen, dass das Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg oder - anders formuliert - das erstinstanzliche Gericht unrichtig entschieden hat (vgl. Sendler, DVBl. 1982, 157). Mit dieser Auslegung wird dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziel entsprochen, mit Hilfe des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an die gefestigte Rechtsprechung zu dem Begriff der ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung (vgl. dazu Schenke, JZ 1996, 1155 m. Nachw. d. Rspr. u. der davon abw. Lit. in Fußn. 729, 730; zu Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vgl. BVerfG, 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 166 = EZAR 632 Nr. 25) anzuknüpfen, die Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen (vgl. dazu Sendler, a.a.O.) und grob ungerechte Entscheidungen zu korrigieren (vgl. dazu BT-Drs. 13/3993 S. 13). Die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ist aber damit nicht auf solche Fälle beschränkt, die dem Rechtsmittelgericht grob ungerecht gelöst erscheinen (ähnlich Hess. VGH, 17.02.1997 - 14 TZ 385/97 -); denn die für den Gesetzgeber ersichtlich maßgebliche Rechtsprechung zu § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO setzt eine derartige qualifizierte materielle Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht voraus. Die ernstlichen Zweifel müssen an der Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen; ob sich die Entscheidung trotz formeller oder materieller Fehler letztlich doch als richtig erweist, ist im Zulassungsverfahren von Amts wegen anhand der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu prüfen (Hess. VGH, 26.03.1998 - 6 TZ 4017/97 -,NVwZ-RR 1998, 777 = DVBl. 1998, 1033 = ESVGH 48, 223 = InfAuslR 1998, 438 m.w.N.; Hess. VGH, 15.07.1997 - 13 TZ 1947/97 -, AuAS 1998, 6 = HessJMBl. 1997, 818; VGH Baden-Württemberg, 18.12.1997 - A 14 S 3451/97 -, NVwZ 1998, 414 = VBlBW 1998, 261; a. A. VGH Baden-Württemberg, 22.10.1997 - NC 9 S 20/97 -, NVwZ 1998, 197). Hierbei sind auch solche nach materiellem Recht entscheidungserhebliche und von dem Antragsteller innerhalb der Antragsfrist vorgetragene Tatsachen zu berücksichtigen, die erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind (BVerwG, 11.11.2002 - 7 AV 3.02 -, DVBl 2003, 401 = NVwZ 2003, 490).
Wie der Kläger zu Recht gegenüber den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den Beziehungen zwischen ihm und seiner Tochter C., welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und für die das Personensorgerecht nach der Ehescheidung dem Kläger und seiner ehemaligen Ehefrau gemeinsam zusteht, geltend macht, könnte mit einer gewissen überwiegenden Wahrscheinlichkeit jedenfalls nach dem bisherigen Stand der Aufklärung angenommen werden, dass er die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 AuslG erfüllt, wonach die Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe von § 17 Abs. 1 AuslG dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Bei den familienrechtlichen Beziehungen zwischen dem mitsorgeberechtigten Elternteil und dem minderjährigen ledigen Kind sind die durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz bewirkten Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingung jedenfalls dem Grundsatz nach zu berücksichtigen. Es kann hier offen bleiben, ob und wie im Einzelnen das verfassungsrechtliche Leitbild der Familie damit auch hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Schutzpflichten verändert worden ist (ebenso BVerfG-Kammer, 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 -, EZAR 020 Nr. 18 = NVwZ 2002, 849 = InfAuslR 2002, 171; vgl. dazu auch Laskowski/Albrecht, ZAR 1999, 102) und ob und in welcher Weise die Anforderung an das Bestehen einer Beistandsgemeinschaft nunmehr durch ein mit der Kindschaftsrechtsreform zum Ausdruck gebrachten neuen Leitbild der Familie geprägt werden (VGH Baden-Württemberg, 05.08.2002 - 1 S 1881/01 -, EZAR 020 Nr. 19). Zwar reicht die geänderte familienrechtliche Rechtslage allein nicht, um ein Aufenthaltsrecht auszulösen (OVG Lüneburg, 18.09.2000 - 1 M 3199/00 -, InfAuslR 2001, 78; OVG Rheinland-Pfalz, 10.04.2000 - 10 B 10369/00 -, NVwZ-RR 2000, 831 = InfAuslR 2000, 388). Anders verhält es sich aber, wenn der Elternteil einen tatsächlichen Beitrag zur Erziehung und Betreuung des Kindes leistet (VGH Baden-Württemberg, 30.11.2001 - 11 S 1700/01 -, EZAR 020 Nr. 17 = NVwZ-Beil. 2002, 62; VGH Baden-Württemberg, 05.08.2002 - 1 S 1381/01 -, EZAR 020 Nr. 19 = NVwZ-RR 2003, 151; OVG Bremen, 07.12.1999, NordÖR 2000, 117; OVG Lüneburg, 19.04.2000 - 11 M 1343/00 -, InfAuslR 2000, 392 = NVwZ-RR 2000, 833; SächsOVG, 24.09.2001 - 3 Bs 115/01 -, SächsVBl. 2002, 198). Danach spricht viel dafür, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall das Vorbringen des Klägers, er übe das ihm formal zustehende Sorgerecht auch tatsächlich nach Maßgabe seiner persönlichen Verhältnisse und Möglichkeiten aus, nicht hinreichend gewürdigt hat. Hierzu genügen die schriftliche Erklärung der Mutter vom 21. Dezember 2001 und die Berichte des Landratsamts E. vom 27. August 2000 und 6. Mai 2002 nicht. Dem Kläger kann jedenfalls nicht entgegen gehalten werden, dass er zwar das Besuchsrecht regelmäßig wahrnehme und dann fünf bis sechs Stunden mit seiner Tochter verbringe, dass er damit aber einen echten Anteil an der Betreuung, Versorgung und Erziehung nicht leiste und daher das Wohl des Kindes nicht auf seine dauernde Anwesenheit in Deutschland angewiesen sei. Bei zutreffender Betrachtungsweise ist vielmehr zu Grunde zu legen, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern geprägt wird, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung (so BVerfG-Kammer, a.a.O.) und dass eine Unterbrechung einer kontinuierlich aufgebauten Beziehung zwischen Elternteil und Kind dessen Wohl nachhaltig schaden kann.
Das Verfahren wird gemäß § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung einer Berufung bedarf. Innerhalb eines Monats nach Zustellung diese Beschlusses ist die Berufung bei dem Hess. Verwaltungsgerichtshof zu begründen; die Begründung muss einen bestimmten Antrag und die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten (§ 124 a Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 bis 5 VwGO). Die Begründungsfrist kann auf ein vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 124 a Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der künftigen Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
Die Entscheidung über den Streitwert des Antragsverfahrens beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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